Verschollen im Bermudadreieck
Die verwinkelten Gassen von Leipzigs Altstadt beweisen nachts mediterranen Charakter, in den rund 30 Szenekneipen tobt das Partyleben. Von Fingerfood bis Drei-Sterne-Menü, vom Waschsalon-Café bis zur Wodka-Weltreise - Leipzig versucht, keine Lücken offen zu lassen.
Leipzig - Das Leipziger Bermudadreieck kennt viele "Verschollene". Von Einheimischen wie Touristen ist es gleichermaßen gefürchtet - die einen wissen um die Gefahren aus langjähriger Erfahrung, die anderen sind durch Erzählungen neugierig geworden. Rund 30 Szenekneipen mit schickem Interieur, verlockende Cocktails und Menüs von Sushi bis Sächsisch-Deftig machen die verwinkelten Gassen in Leipzigs Altstadt so verlockend für einen Besuch bei Nacht. Eine Sperrstunde gibt es in der sächsischen Messestadt nicht, was Leipzig zur Partyhauptstadt des Ostens macht.
Partystadt Leipzig: Sperrstunde gibt es nicht
Wenn die Besucher nach einem Konzert im Gewandhaus oder aus der Kinovorstellung kommen, geht kaum einer direkt nach Hause. Und auch Messegäste aus dem In- und Ausland hält es selbst nach anstrengenden Tagen nicht im Hotel. Wenn die Dunkelheit hereinbricht, bricht aus Leipzig der Mephisto heraus - ähnlich wie in Goethes "Faust". Der Fassritt des Gelehrten Doktor Faustus ist nur eine Szene aus dem Klassiker des Dichterfürsten. Doch die historische Stätte in der Mädlerpassage ist bei einer Leipzig-Visite Pflicht - und das noch heute praktizierte Schauspiel im Weinkeller ein guter Ausgangspunkt für einen Bummel bei Nacht.
Das von Goethe beschriebene Klein-Paris beweist nachts mediterranen Charme. In der Kneipenmeile "Drallewatsch" - ein ursächsischer Begriff für "etwas erleben" - sorgen an kühlen Abenden Heizstrahler, Sonnenschirme und aufwendige Blumendekors für südliches Flair. Gespräche und lautes Lachen schwirren durch die Gassen. Die Stühle der scheinbar ineinander übergehenden Szenelokale vermischen sich meist genauso schnell wie die Besucher - Studenten kommen mit Fernseh- und Theaterschauspielern in Kontakt, Professoren prosten Bankern und internationalen Geschäftsleuten zu.
Schlichte Eleganz, günstige Preise Von Fingerfood bis Drei-Sterne-Menü, vom romantischen Abendessen bei Kerzenschein am Wasser eines der gefluteten Tagebaue in Innenstadtnähe bis zum Mitternachtsdrink in mehr als 100 Meter Höhe - Leipzig versucht, keine Lücken offen zu lassen. In einem der Cafés im Schauspielviertel kann man gar seine schmutzige Wäsche mitbringen und bei einem Glas Pinot Grigio den Waschgang überbrücken, wenige Meter weiter lädt ein findiger Barbetreiber zu einer Weltreise mit Wodka, ein anderer zu einer Massage im Diwan. Mit schlichter Eleganz, im Vergleich zu vielen westdeutschen Großstädten günstigen Preisen und der Nähe Künstlern und Intellektuellen bilden sich monatlich neue Attraktionen.
Und zwischen den gastronomischen Verführungen ist bei einem Spaziergang durch die Altstadt Geschichte erlebbar: die beleuchteten Kirchen St. Thomas, Wirkungsstätte von Johann Sebastian Bach, und St. Nikolai, Ort der Montagsgebete und Ausgangspunkt der friedlichen Revolution von 1989, das Stasi-Museum "Runde Ecke", Handelshöfe und Passagen, die die Messetradition verkörpern, und der größte Kopfbahnhof Europas, der zugleich eine Shopping-Mall beherbergt.
Per Mundpropaganda nach Connewitz
Aus dem kulturellen Angebot Leipzigs nicht mehr wegzudenken sind Kabarett-Theater wie academixer oder Leipziger Pfeffermühle, die mit bissig-ironischen Programmen Regierenden und Regierten "aufs Maul schauen". Wer die Facetten von Leipzigs Nachtleben kompakt spüren will, kommt um einen Besuch von Europas größtem Studentenclub nicht vorbei. In den Katakomben der Moritzbastei in Fußnähe zur Universität wird getanzt bis zum Morgengrauen.
Wer die Altstadt Richtung Süden hinter sich lässt, kommt in die nächste Kneipenmeile, die sich etwa anderthalb Kilometer bis ins alternative Szeneviertel Connewitz zieht. Anfang der neunziger Jahre verschmolzen dort Hausbesetzerszene und Clubkultur. In Abrisshäusern und Kellern wurden provisorische Tresen, DJ-Pulte und Theaterbühnen aufgebaut. Hier trafen sich junge Leute auf der Suche nach privater Vertrautheit und einer Alternative zu kommerzieller Musik. Die Werbung für diese Veranstaltungen erfolgt heute wie damals meist durch Mundpropaganda.
http://www.spiegel.de/reise/metropolen/ ... 01,00.html
Derartige Tourismuswerbung müßte es häufiger für Leipzig geben.