Europäische Piloten in Asien
Gastarbeiter der Lüfte
Weil Jobs daheim rar sind oder sie sich unwürdig behandelt fühlen, arbeiten immer mehr europäische Piloten in Fernost oder am Persischen Golf. Boom-Airlines dort locken mit hohen Bezügen und Gratis-Logis - mancherorts zahlen die Cockpit-Gastarbeiter nicht mal Steuern.
Hamburg - Noch im November wird Patrick Sutter für eine erste Visite nach Abu Dhabi jetten und das Terrain sondieren. Seine Mission: Er will vorab die Schule auswählen, die seine Söhne in Zukunft besuchen sollen. Vom Angebot ist Sutter, 39, schon vorauseilend begeistert. "Es gibt neben den lokalen Schulen auch eine deutsche, eine französische, eine amerikanische und eine britische Schule", sagt er, und: "Ich fände es gut, wenn unsere Kinder dort außer Englisch auch Arabisch lernen würden."
Ein Vierteljahr später ist es dann soweit - Patrick Sutter wandert aus.
Außer den beiden Söhnen, 5 und 1, ist auch seine Ehefrau mit dabei. Den Wohnsitz in der Schweiz geben sie auf. "Vielleicht zehn Jahre" wollen sie in dem Öl-Emirat am Persischen Golf bleiben, womöglich noch länger. Der Grund für den Umzug: Nach mehr als zehn Dienstjahren im Cockpit verlässt Sutter die malade Fluglinie Swiss. Vom 8. März an wird er als Flugkapitän für die hastig wachsende Gesellschaft Etihad Airways arbeiten und A330-Airbusse von Abu Dhabi aus nach London, Beirut oder Bangkok steuern.
Piloten im Cockpit: "Man wird ja heute so durch die Dienstpläne gescheucht"
Was auf den ersten Blick wie eine exotische Karriereentscheidung wirken mag, ist für eine wachsende Zahl von Sutters Cockpit-Kollegen ganz normal. "Fünf, sechs Piloten von der Swiss sind schon seit längerem in Abu Dhabi", sagt Sutter, "jetzt kommen noch mal 14 dazu." Dreißig weitere Flieger, die bisher bei der Swiss Regionalmaschinen lenkten, wechseln in den nächsten Monaten nach Taiwan zu China Airlines.
Auch aus Deutschland wandert zunehmend fliegendes Personal in die arabische Golfregion ab, nach China, Indien oder in die Türkei. Schon jetzt sei die Zahl der deutschen Piloten, die Flugzeuge im Ausland steuern, "bestimmt dreistellig", schätzt Sami Kadam von der Flugschule Intercockpit in Frankfurt.
Vieles deutet darauf hin, dass es noch mehr werden. Wer das Fachblatt "Flight International" durchblättert, sieht jede Woche die Stellenannoncen der Boom-Airlines aus Asien - oder die von britischen Personalvermittlern, die im Auftrag der Asiaten suchen. In Deutschland dagegen ist wenig zu holen. Die Bundesagentur für Arbeit zählte zuletzt rund 580 arbeitslose Piloten und nur 45 offene Stellen.
Oft sind es gerade die Erfahrenen, die abwandern
"Ich höre immer wieder von Leuten, die bei Emirates, Etihad oder Cathay Pacific anfangen", berichtet Hans Lenk, der "Pilotenpapst" bei der Bundesagentur. Lenk kümmert sich seit 32 Jahren um die Jobvermittlung fürs Cockpit, kaum einer kennt dieses spezielle Marktsegment so in- und auswendig wie er. Man könne "schon von einer gewissen Abwanderung" nach Fern- und Mittelost sprechen, konstatiert er, "da blüht der Markt auf".
Oft sind es die besonders Qualifizierten, die sich fürs Auswandern entscheiden: die Flugkapitäne mit Zulassungen für Jumbo-Jets oder den Langstreckenairbus A340, die Erfahrenen mit einem prall gefüllten Flugstundenkonto. "Wenn der Sohn nicht mehr so klein ist, dass er sagt: 'Papa, hilf mir bei den Matheaufgaben', fällt die Entscheidung natürlich leichter", meint Lenk.
Viele gehen auch aus Frust, weil die Durchschnittslöhne hierzulande fallen und es mit den früheren Pilotenprivilegien nicht mehr weit her ist. "Man wird ja heute so durch die Dienstpläne gescheucht, dass man schon verdammt robust sein muss, um das auszuhalten", schimpft einer, der früher mal für die LTU arbeitete und den Pilotenjob inzwischen aufgegeben hat: "Manche sind beim Fliegen ständig übermüdet."
In Asien hingegen werden die Flieger aus dem Westen hofiert - die Airlines dort suchen händeringend Personal, denn die örtlichen Flugschulen bilden viel zu wenige Absolventen aus. Der Mangel an heimischem Piloten sei ein "riesengroßes Problem", klagt Wolfgang Prock-Schauer, der österreichische Chef der indischen Jet Airways. Bei Jet arbeiten inzwischen 20 Westler als Kapitän auf internationalen Routen, ein Job mit Renommee.
Vor allem die staatlich gepäppelten Golf-Airlines sind in der Branche dafür bekannt, dass sie Cockpit-Personal mit allerlei Luxus ködern. Etihad Airways, laut Eigen-PR "die am schnellsten wachsende Fluggesellschaft der Welt", zahlt einem Kapitän im A330 bis zu 6700 Dollar Grundgehalt - und legt pro Arbeitstag ein Taschengeld von fast 200 Dollar drauf. Besonders praktisch: Brutto entspricht netto, denn der rohstoffreiche Kleinststaat knöpft seinen Einwohnern keinerlei Steuern ab. Obendrein offeriert Etihad Zuschüsse fürs Wohnen, für die Ausbildung der Kinder und kostenfreie Krankenversicherungen.
50 Prozent mehr und andere orientalische Wunder
"Wenn man alles zusammenrechnet", überschlägt der künftige Etihad-Mann Sutter, "ist das wie eine Lohnsteigerung um 50 Prozent." Für den Schweizer mindestens ebenso wichtig ist der Faktor Karriere: In Abu Dhabi kann er von Anfang an als Captain starten. "Würde ich bei Swiss bleiben, müsste ich bestimmt noch zehn Jahre als Co-Pilot arbeiten." Bei Etihad trifft Sutter auf einen deutschen Vizechef und auf einen deutschen Flugbetriebsleiter, die beide früher für die LTU flogen - manchem Piloten aus dem Westen ist am neuen Einsatzort so der Aufstieg ins obere Management geglückt.
Wer tatsächlich umzieht, erleidet aber oft einen Kulturschock. Gratisversicherungen, Steuerfreiheit, gut und schön - "aber das ist ein Leben im goldenen Käfig dort", sagt ein Pilotenausbilder aus Berlin. Viele Exil-Piloten fühlten sich unglücklich und regelrecht einkaserniert.
Einer, der es nicht aushielt in der Ferne, ist Carsten Bredlau, 34 - heute arbeitet er in Düsseldorf, bei einem kleinen Charterflieger für Türkeireisen. Nicht ganz ein Jahr lang war er als Co-Pilot für die malaysische Luftfracht-Gesellschaft Transmile unterwegs, rund um das südchinesische Meer. Zusammen mit anderen Expatriates wohnte er in einer Apartmentanlage am Rande von Kuala Lumpur. "Die Bude wurde uns zur Verfügung gestellt, war ein bisschen verwohnt, aber relativ groß, mit Pool, Tennisplatz und Schickimicki." Bredlau ging nicht des Geldes wegen, sondern weil er Flugstunden sammeln musste, um in Deutschland einen Job zu bekommen. Immerhin: Er verdiente sieben Mal mehr als die malaysischen Arbeiter auf dem Rollfeld, umgerechnet 650 Euro.
Schlangen im Cargo-Raum
"Die Hälfte davon ist aber für die Telefonate nach Hause draufgegangen", erzählt Bredlau, der sich seltsam und fremd vorkam in der malaysischen Metropole. "Ich bin blond und 1,95 groß, man ist da komplett Ausländer." Oft fühlte er sich regelrecht abgezockt: "Wenn Sie im Tante-Emma-Laden ein Six-Pack kaufen, kostet Sie das doppelt so viel wie Einheimische. Sie sind immer der Depp."
Bredlau hat in Malaysia einiges erlebt, das einem dba- oder Condor-Piloten in 30 Jahren Karriere nie widerfahren würde. So flog er außer Paketen für DHL und die malaysische Post auch Ladungen mit Küken, Schildkröten, lebenden Schlangen und anderen animalischen Delikatessen umher. "Das hat oft unglaublich gestunken." Wirklich neu war die Flugzeugflotte bei Transmile nicht: Die meisten Boeings stammten aus den siebziger Jahren, die älteste war Baujahr '69. Einmal erlebte Bredlau mit, wie im Flug eine Turbine versagte. Trotzdem verteidigt er seinen Ex-Arbeitgeber: "So etwas kann immer mal vorkommen. Die Wartung war superprofessionell - davon könnten sich einige deutsche Gesellschaften was abscheiden."
Wäre der Job irgendwo in Europa und nicht in Kuala Lumpur gewesen, sagt Bredlau, "dann wäre ich bestimmt noch dabei".
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,382463,00.html