Der neue Airbus: Abheben ohne abzuheben?
Testpiloten sind die ersten, die das fabrikneue Flugzeug fliegen: 9000 Flugstunden sind Minimum. Reportage aus dem Alltag der Finkenwerder Spezialisten
Manchmal hebt Hollywood ganz schön ab. Bernd Schäfer, 54, Chefpilot im Hamburger Airbuswerk, kann darüber nur den Kopf schütteln. In Actionfilmen, wundert er sich, führten sich Testpiloten auf wie Cowboys der Lüfte. Sie trügen Lederjacken, kauten ständig Kaugummis und starteten zu waghalsigen Flugmanövern. "Das", sagt Bernd Schäfer, "hat mit der Wirklichkeit überhaupt nichts zu tun."
Wer wie er im richtigen Leben abheben will, muß bodenständig sein. Nichts darf einen Testpiloten aus der Ruhe bringen. Er braucht einen klaren Kopf, technischen Sachverstand, viel Disziplin und ein gutes Reaktionsvermögen.
Wie Bernd Schäfer. Er ist einer von sechs Testpiloten und mehreren Flugversuchsingenieuren bei Airbus in Finkenwerder. Sein Team testet Serienjets, die in Hamburg gebaut werden - den A 318, 319 und 321. Nächstes Jahr überprüfen sie sogar erstmals in Eigenregie den Superairbus A380. Dann sitzt Bernd Schäfer oder einer seiner Kollegen mit im Cockpit, wenn Vertreter von Singapore Airlines den millionenschweren Riesenvogel übernehmen.
Je größer die Bedeutung der Hansestadt als Luftfahrtstandort wird, um so wichtiger werden die Aufgaben der Hamburger Testpiloten. Bei Airbus jedenfalls befindet sich ihr Ansehen im Steigflug. Allein im vergangenen Jahr wurden in Finkenwerder mehr als 150 Maschinen der Typen A318, 319 und 321 im Gesamtwert von gut sechs Milliarden Euro gebaut - und von den Experten auf Herz und Nieren geprüft.
Am Boden aber wirken Testpiloten eigentlich ganz unspektakulär. Seelenruhig trinkt Bernd Schäfer Kaffee in seinem Büro. Dabei soll es doch gleich losgehen. Flugversuchsingenieur Hermann Schmoeckel, 46, kommt dazu, Akten unter dem Arm. Ein letztes Gespräch vor dem ersten Test eines A319. Schäfer und Schmoeckel tragen Zivil. Wie sie aussehen, könnte man sie für Beamte im gehobenen Dienst halten.
Dieser Eindruck ändert sich allerdings rasch, denn vor dem Rollfeld wartet eine fabrikneue A319. Nur Piloten wie Bernd Schäfer haben die seltene Lizenz, eine solche Maschine erstmals zu fliegen. "Hainan Airlines" steht auf dem rund 60 Millionen teuren Mittelstreckenflugzeug, das in wenigen Tagen in China eingesetzt wird. Alles wirkt darin so wie in einem richtigen Ferienflieger. Selbst die Kaffeemaschinen sind einsatzbereit. Nur die Flugbegleiter und die 124 Passagiere fehlen.
Schäfer steigt die Gangway hinauf, während Flugversuchsingenieur Schmoeckel schon im Cockpit Sicherungen prüft. "Es riecht hier wie in einem nagelneuen Auto", sagt der Testpilot und nimmt Platz im Chefsessel. Wenig später wird er die 38 Meter lange Maschine starten und per "Sidestick", den Schaltknüppel, elektronisch steuern. Schon rast sie über die Rollbahn und hebt ab. Das jedenfalls hat schon mal geklappt.
Bereits als Kind wollte Bernd Schäfer hoch hinaus. Nach dem Abitur ging er zur Luftwaffe. 1200 Stunden flog er den Starfighter, der es in zwei Minuten auf eine Höhe von 10 000 Metern bringt.
Weil der Hamburger seine Berufschancen verbessern wollte, begann er nach der Bundeswehrzeit ein Ingenieurstudium. Es folgten Dornier, Testpilotenschule, Toulouse. Seit 1997 arbeitet Schäfer als Chefpilot von Airbus in Hamburg-Finkenwerder. Insgesamt 9000 Flugstunden hat er in den vergangenen 17 Dienstjahren absolviert. Im Schnitt ein- bis zweimal pro Arbeitstag hebt er ab.
Soviel Erfahrung ist in dieser Branche die Regel. Nur rund 20 Testpiloten gibt es bundesweit - alles "alte Hasen". Während in vielen Konzernen der Jugendwahn grassiert, schätzt das Management großer Flugzeugbauer die profunde Erfahrung von Männern in den besten Jahren. "Sie werden bei uns keinen 20jährigen Testpiloten finden", sagen Schäfer und Flugversuchsingenieur Schmoeckel. "Die jüngsten sind Ende 30."
Der Airbus A319 hat inzwischen das vorgeschriebene Testgebiet zwischen Dresden und Köln erreicht. Die Crew prüft viele Parameter: Flugleistung in verschiedenen Höhen, Spritverbrauch, Flugeigenschaften, Geschwindigkeitskonstanz über Grund.
Kabinenspezialist, Flugversuchsingenieur und die beiden Piloten müssen auch auf Fahrgeräusche achten. "Einmal", erinnert sich Bernd Schäfer, "waren die Geräusche einer schlecht angepaßten Seitenscheibe so laut, als würde jemand auf der Trompete blasen. Ich mußte den Start abbrechen."
Nach zweieinhalb Stunden taucht der A 319 wieder über Finkenwerder auf. Alles ist klar zur Landung. Die Maschine dröhnt dabei so laut, als würde sie jeden Augenblick abstürzen. "Das befürchten die Anwohner in Blankenese auch immer wieder", weiß der Pilot und lacht.
Kein Grund zur Panik: Getestet wird ganz zuletzt das Wichtigste, die Notaggregate nämlich. "Denn das muß im Ernstfall 100prozentig funktionieren." Damit auch die Piloten sicher landen. Edgar S. Hasse
http://www.wams.de/data/2006/01/15/831579.html?s=1