Lufthansa steckt Milliarden in die Flotte
Deutschlands größte Fluglinie kauft mehr als 100 neue Flugzeuge und denkt über eine neue Tochtergesellschaft in Italien nach. Damit trifft die Lufthansa auch eine Entscheidung über ihre Strategie. Der Konzern nimmt den Kampf gegen die Billigflieger endgültig auf.
von Jens Flottau
Der bisherige Höhepunkt des Jahres spielte sich für die Lufthansa im chinesischen Shenzhen ab. Vor einigen Tagen posierten Konzernchef Wolfgang Mayrhuber und seine Leute stolz vor einem Frachtflugzeug, das gerade die ersten Flüge für das Lufthansa-Joint Venture Jade Cargo absolviert hatte.
Doch das Jahr hat voraussichtlich noch Einiges zu bieten. Denn Deutschlands größte Fluggesellschaft nimmt richtig viel Geld in die Hand. Noch in diesem Herbst plant die Lufthansa nach Informationen der "Welt am Sonntag" einen der größten Flugzeugkäufe ihrer Geschichte. Voraussichtlich mehrere Milliarden Euro wird das Unternehmen in neue Lang- und Mittelstreckenmaschinen investieren. Offenbar wird auch die Gründung einer Billigfluglinie in Italien nach dem Vorbild der deutschen Germanwings geprüft.
Mit den Bestellungen legt sich Lufthansa in wichtigen Märkten strategisch fest. Die neuen Flugzeuge sollen helfen, die Position im Langstreckengeschäft weiter auszubauen und die Drehkreuze in Frankfurt, München und Zürich wachsen zu lassen. Zur Auswahl stehen die Airbus-Modelle A380 und A350, sowie die Boeing 747, 777 und 787. Vom Umfang des Auftrags für Mittelstreckenflieger hängt ab, wie stark die Lufthansa künftig im Billigsegment sein will.
Im Herbst werde man "eine größere Bestellung" tätigen, schreibt Lufthansa-Chefpilot Jürgen Raps seinen Besatzungen in der internen Zeitung "Flightcrew Info". Das ist ziemlich bescheiden ausgedrückt. Derzeit steckt die Lufthansa mitten in den Verhandlungen mit den Flugzeugherstellern Boeing, Airbus, Embraer aus Brasilien und Bombardier aus Kanada. Bei den Großraumjets sucht der Konzern Ersatz für 30 Boeing 747 und 29 Airbus A340. In der Europaflotte sollen 62 Boeing 737 abgelöst werden. Hinzu kommen etliche Airbus A320, von denen die Lufthansa 83 betreibt. Für das Regionalgeschäft sollen bis zu 60 Maschinen wohl von Embraer kommen. Insgesamt wird es um weit mehr als 100 Flugzeuge gehen. Erste Entscheidungen für das Einkaufsprogramm könnten bereits bei der Aufsichtsratssitzung am 20. September fallen.
Dass die Lufthansa auch in Europa investieren will, dürfte erhebliche Implikationen dafür haben, wie sich der Konzern gegen Niedrigpreiskonkurrenz wie Ryanair oder Easyjet wappnet. Mit der geplanten Großbestellung wäre ein Rückzug von vielen Kurzstrecken, wie ihn etwa British Airways vollzogen hat, kein Thema mehr. Die Lufthansa nimmt den Kampf gegen die Billigflieger damit endgültig an.
Die strategische Positionierung geht aber noch weiter. Die großen Maschinen mit 400 und mehr Sitzen könnten praktisch nur auf den Drehkreuzen in München und Frankfurt eingesetzt werden. Die kleineren Modelle A350 und 787 könnten hingegen eher auch einige Langstrecken von anderen Ballungszentren wie Düsseldorf und Hamburg aus bedienen, was die Lufthansa bisher praktisch nicht tut. Keine "einfache Aufgabe", findet Chefpilot Raps. "Setzt man weiter auf Hub-Wachstum oder geht man eher in die Fläche?"
Denn seit einiger Zeit schon beschäftigt die Lufthansa die Frage, ob sich der Konzern seine bisherige ausschließliche Konzentration auf die teuren und verstopften Großflughäfen weiter leisten kann. Frankfurt platzt schon heute aus allen Nähten, die vierte Startbahn wird frühestens 2010 fertig. In München hat die Planungsphase für die dritte Bahn gerade erst begonnen. Zugleich etablieren sich immer mehr Konkurrenten mit neuen Langstreckenverbindungen auf den übrigen deutschen Flughäfen: Continental Airlines in Hamburg und Berlin, Delta in Berlin.
Emirates aus Dubai startet Ende Oktober einen täglichen Flug von Hamburg nach New York. Darüber hinaus hat die Fluglinie weitgehende Verkehrsrechte von anderen deutschen Flughäfen in die USA. "Im Spitzenmanagement gibt es erhebliche Bedenken wegen Emirates", sagt ein Insider. Kauft die Lufthansa jetzt A350 oder Boeing 787, könnte sie auch solcher Konkurrenz besser entgegentreten.
Die Größe der Bestellung dürfte aber auch mit einem anderen Projekt zu tun haben, das die Lufthansa in Italien plant. Offenbar erwägt das Unternehmen, analog zur deutschen Tochter Germanwings eine Billigfluglinie namens Italianwings aufzuziehen und sucht dafür schon nach italienischen Investoren. Italianwings könnte auf der Basis der bestehenden Regionaltochter Air Dolomiti entstehen. Italien ist in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Markt für die Lufthansa geworden, da sie von der Schwäche der dortigen Staatslinie Alitalia profitieren und Marktanteile hinzugewinnen konnte. Darauf soll nun aufgebaut werden. "Eine Italianwings würde aus meiner Sicht äußerst viel Sinn machen", sagt ein mit dem Sektor vertrauter Unternehmensberater.
Allerdings gibt es noch diverse Unklarheiten. Eine davon ist, wer die neuen Embraer-Jets eigentlich fliegen soll. Der Konzerntarifvertrag sieht vor, dass alle Flugzeuge mit mehr als 70 Sitzen von Piloten der Lufthansa selbst geflogen werden müssen. Erst darunter dürfen die wesentlich schlechter bezahlten Crews der Regionaltöchter eingesetzt werden. Bei denen aber würden die kleinen Maschinen wohl hauptsächlich fliegen. Bislang jedenfalls lehnt die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit jede Änderung an dem Vertragswerk ab.
Artikel erschienen am 3. September 2006
http://www.wams.de/data/2006/09/03/1021093.html