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 Betreff des Beitrags: Land der Pisten
BeitragVerfasst: Mittwoch 18. Januar 2006, 08:22 
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Land der Pisten



In Deutschland schießen Regionalflughäfen wie Pilze aus dem Boden – der harte Kampf um Passagiere fordert in Erfurt erste Opfer.

Von Christiane Kohl



Erfurt – Wer sich dem Flughafen aus der Luft nähert, hat die schönste Aussicht auf eine mittelalterliche Stadt: Rot leuchtende Ziegeldächer schmiegen sich wie gute Freunde aneinander, mittendrin thront der Erfurter Dom. Am Boden freilich herrscht weniger Eintracht. Zwischen Abfertigungshalle, Landebahn und Kontrollturm wird ein heftiger Kleinkrieg geführt – vergangenes Wochenende gipfelte er in der vorübergehenden Verhaftung des Flughafen-Geschäftsführers Gerd Ballentin.



Dem Mann, einem geborenen Bayern, wird Mobbing von Mitarbeitern vorgeworfen. Überdies soll er die Passagierzahlen des Flughafens hochgerechnet haben – um Fördergelder zu erschleichen, wie die Staatsanwälte vermuten.



Ohne zusätzliche Mittel vom Staat wäre der Flughafen Erfurt nach den Annahmen der Ermittler womöglich nicht weiter ausgebaut worden. Dabei frisst das Unternehmen auch ohne geschönte Zahlen eine Menge öffentlicher Gelder: Gut 13Millionen Euro Jahr für Jahr.



Ähnlich steht es um viele andere Regionalflughäfen in Deutschland. Oftmals existieren die Pisten eigentlich nur noch Dank der Großmut ihrer Landesfürsten. „Aus wirtschaftlichen Gründen“, meint Bernd Kortschak, Professor für Verkehrswissenschaften an der Fachhochschule Erfurt, „haben viele dieser Pisten eigentlich keine Existenzberechtigung als Verkehrsflughafen“.



Doch der Flughafenausbau ist Ländersache, eine übergeordnete, verbindliche Bundesplanung gibt es nicht. So kommt es, dass in den vergangenen Jahren die Regionalflughäfen wie Pilze aus dem Boden schossen: Ob in Hof oder in Rostock, in Dortmund oder im mecklenburgischen Barth – überall heben mittlerweile Charter- oder Linienflieger ab.



Sonderfall Erfurt

Die Kleinflughäfen „verschlingen wahnsinnig viel Geld“, meint jedoch Kortschak, „und ihr verkehrlicher Nutzen ist mehr als zweifelhaft“.



Erfurt freilich gilt als Sonderfall. Nach dem Einigungsvertrag von 1990 war die Piste als einer von drei Standorten im mitteldeutschen Raum ausersehen, die man zu internationalen Verkehrsflughäfen ausbauen wollte. So wurden etwa 220 Millionen Euro in das Gelände investiert.



Während sich Leipzig-Halle schnell zu einem Luftdrehkreuz entwickelte, blieben die Passagierzahlen in Erfurt jedoch hinter den Erwartungen zurück. Und dies so sehr, dass die Flughafenleitung offenbar zur Selbsthilfe griff: Nach den Erkenntnissen der Staatsanwälte wurden die Zahlen allein im Jahr 2000 um gut 30.000 Fluggäste geschönt. Damit erreichte der Flughafen die Zahl von 500.000 Passagieren, die in einem Planfeststellungsbeschluss als Mindestmarke zum weiteren Ausbau der Piste genannt war.



Künstlich hochgerechnet

Nach den Vermutungen der Ermittler wurden die Fluggastzahlen möglicherweise auch später künstlich hochgerechnet. Geschäftsführer Ballentin stritt jedoch alles ab: Lediglich „kleine Eingabefehler“ hält er für möglich.



Dem heute 62jährigen Piloten wird zudem Vetternwirtschaft vorgeworfen, so soll er zwei Werbeaufträge der Lebensgefährtin seines Sohnes zugeschanzt haben. Überdies fühlten sich Mitarbeiterinnen aus der Fluggastabfertigung von ihm gemobbt – er habe sich über ihre „kurzen Röckchen“ mokiert.



Schon vor Monaten war über Unregelmäßigkeiten in Erfurt spekuliert worden. Erst als die Geschäftsleitung sich anschickte, Dokumente zu vernichten, griffen die Ermittler zu. Sie verhafteten Ballentin vom Arbeitsplatz weg, setzten ihn später aber mit Auflagen wieder auf freien Fuß.



Auch die Landesregierung, Hauptanteilseigner des Flughafens, hielt sich auffällig zurück. Dabei zahlt das Land nicht nur jährlich knapp 10 Millionen Euro Kapitaldienst für den Flughafen. Die beiden einzigen Fluglinien, die Erfurt noch ansteuern, werden zusätzlich mit etwa 3,5 Millionen Euro jährlich subventioniert.



"Noch so ein Millionengrab"

Auch die irische Ryan Air bekam zeitweise Fördermittel in Erfurt, die Billig-Airline zog es trotzdem vor, im thüringischen Altenburg zu starten: Das Einzugsgebiet der Kleinstadt, die im Dreieck zwischen Leipzig, Dresden und Jena liegt, schien ihr attraktiver.



Auch in Altenburg aber stehen Investitionen von etwa acht Millionen Euro an, weshalb vom benachbarten Flughafen Leipzig kürzlich der Vorschlag kam, die Piste ganz zu schließen. Unterdessen will Hessen bei Kassel einen Verkehrsflugplatz ausbauen, gerade mal eineinhalb Fahrstunden von Erfurt entfernt. Und in Cochstedt bei Magdeburg entsteht ein weiterer Flughafen. Noch so „ein Millionengrab“, meint der SPD-Finanzexperte im Landtag von Sachsen-Anhalt, Thomas Felke.



(SZ vom 18.1.2006)



http://www.sueddeutsche.de/panorama/artikel/391/68323/

Quelle: dba


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BeitragVerfasst: Mittwoch 18. Januar 2006, 08:24 
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naja Luftdrehkreuz sind wir noch nicht!!! Aber sonst ist alles Richtig.


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BeitragVerfasst: Mittwoch 18. Januar 2006, 09:28 
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Ja und Nein. Es ist sicher richtig am Tage der Unterzeichnung dieses merkwürdigen Luftfahrtkonzeptes dieses Problem anzusprechen. Dennoch ist mir das wieder eine zu einseitige Sicht. Wieder wird nur am Rande auf die Problematik von Flugplätzen wie Altenburg oder Cochstedt eingegangen. Stattdessen wird Erfurt zur Disposition gestellt. Man kann über jeden Flughafen kritisch diskutieren. Aber die Probleme beginnen bei diesen hochsubventionierten WuW-Flugplätzen. Daher sollte man die Kritik besser dossieren und gezielter einsetzen.


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BeitragVerfasst: Mittwoch 18. Januar 2006, 11:22 
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Dazu kann ich nur sagen "das schöne Geld!"



Wenn man überlegt, was diese o.g. Wald- und Wiesenflughäfen an Geld fressen!!! Und gerade das Geld könnte man für andere Verkehrsprojekte gut brauchen - Autobahnausbau, Investitionen in große (sinnvolle) Flughäfen wie LEJ usw...



naja



Aber was ich immer noch nicht verstehen mag: Diese Diskussion über Subventionen und Sinn und Unsinn von Regionalflughäfen geht nun schon eine ewigkeit - und quer durch alle Medien! Trotzdem scheinen die Politiker ihre Rosarote Brille immer noch nicht absetzen zu wollen und mal was wirklich maßgebliches ändern... Schade :?

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BeitragVerfasst: Mittwoch 18. Januar 2006, 11:48 
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Leider sind Politiker keine Fachleute. Allenfalls lassen sie sich von solchen beraten (oder auch nicht). Und ob sie sich die Ratschläge dann auch zu Herzen nehmen, steht noch einmal auf einem anderen Blatt. Vor allem jedoch müssen Politiker Rücksichten nehmen. Auf Verbände, Wähler, Lobbyisten, Koalitionspartner usw. usf. Daraus folgt, daß ein Papier wie das Luftverkehrskonzept immer ein Kompromiss ist, noch viel mehr, wenn sich hier drei Bundesländer zusammenraufen. Und es mag uns gefallen oder nicht: wahrscheinlich ist es besser, so ein Konzept zu haben, als die Alternative, nämlich gar keines, wo jeder macht was er will.



strulem


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BeitragVerfasst: Mittwoch 18. Januar 2006, 15:23 
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Zum Thema gab es am 12.01.2006 auch einen Beitrag in Panorama/NDR.



Kompletter interessanter Sendetext hier:

http://www.ndrtv.de/panorama/data/panor ... lieger.pdf



Grüße

Jürgen

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BeitragVerfasst: Mittwoch 18. Januar 2006, 15:56 
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strulem hat geschrieben:
Und es mag uns gefallen oder nicht: wahrscheinlich ist es besser, so ein Konzept zu haben, als die Alternative, nämlich gar keines, wo jeder macht was er will.



strulem




Stimmt auch wieder. Zumindest kann man damit dem Ganzen was positives abgewinnen.


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