Etwas zum Thema aus der heutigen LVZ:
“Überall kann etwas passieren“
Leipzig. Es sollen die schönsten Tage des Jahres sein. Entspannend, interessant und meist sonnig. Urlaub eben. Für die Deutschen, die Reiseweltmeister, sollen die Ferien vor allem eine unbeschwerte Zeit sein, in der der Alltag hinter sich gelassen wird. Doch Dienstag abend am Flughafen Leipzig-Halle ist das nicht bei allen Passagieren so. Die rund 100 Touristen aus den neuen Ländern, die auf den A 320 mit der Flugnummer LT 1696 warten, wollen zwar in den Süden reisen. Doch der Airbus startet in Richtung Mittelmeer, genauer gesagt nach Antalya, dem Nizza der türkischen Reviera. Und deshalb sitzt auch einigen die Angst im Nacken. Weil sie durch die Bombenexplosionen in den türkischen Badeorten Cesme und Kusadasi verunsichert sind.
„Wir hatten bereits einen Flug vorigen Sonntag, den wir dann aus Angst vor weiteren Explosionen sofort stornierten. Trotzdem haben wir uns später entschieden, doch noch zu fliegen,“ erinnert sich Alexander Mints aus Chemnitz. Und Ralf Stille aus Weißwasser sagt nachdenklich: „Ein belastendes Gefühl der Ungewissheit ist auf jeden Fall vorhanden, aber ich versuche, das so gut wie möglich zu unterdrücken.“ Zweifel, ob die Entscheidung zur Reise richtig ist, blieben ihm dennoch.
Die beiden Sachsen sind nicht die einzigen, die am Check-In Schalter so reagieren. Aber es gibt auch andere. Unerschrockene, die sich von den Anschlägen nicht beirren lassen wollen. Wie Heidemarie Pergande beispielsweise. „Umbuchen? Nein!“, sagte die Magdeburgerin spontan. Es sei zwecklos, sich Sorgen zu machen, schließlich könne genau so gut das Flugzeug abstürzen. “Überall kann einem etwas passieren“, meint die Sachsen-Anhalterin gelassen und schiebt ihre Koffer durch die Sicherheitskontrolle.
Heidemarie Pergande ist kein Einzelfall. Im Gegenteil. Sie gehört sogar zu einer Mehrheit, die trotz Terrorgefahr vereisen. „Die Touristenzentren der Türkei sind nach wie vor ein beliebtes Ziel“, sagt Susanne Stünckel vom Reiseveranstalter Tui. Auch Thomas Cook hat nach den Worten von Sprecher Boris Ogursky kein erhöhtes Niveau von Stornierungen zu verzeichnen. Das hat repräsentativen Charakter. Tui und Thomas Cook sind nämlich die Nummer eins und zwei der Branche.
Die Tatsache, dass die Ballungsgebiete bisher verschont geblieben sind, beruhigt Oliver Burkert: “Über die Anschläge mache ich mir keinen Kopf,“ sagt der Chemnitzer. „Schließlich liegt unser Urlaubsziel in einer ganz anderen Gegend als die, in der die Anschläge verübt wurden.“ Und für andere Urlauber ist im Ausland die Angst, von Terrorismus betroffen zu sein, kaum größer als wenn sie in Deutschland bleiben würden. „Auch in Berlin könnte jederzeit etwas passieren. Ob man hier oder in Antalya die Gefahr ertragen muss, das nimmt sich nichts,“ meint Christian Windisch aus Niemegk bei Berlin und spielt damit auf die Warnungen von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) an, der schon gebetsmühlenartig nach jeden Terrorakt erklärt, dass auch Deutschland im Visier der Terroristen sei.
Dazu passt auch der Appell, den Lutz Schiller aus Deutzen an die Politik richtet: „Sie muss durchsetzen, dass in Zukunft wieder die Vernunft regiert“, sagt er. Militärische Einsätze seien der falsche Weg zur Terrorbekämpfung. „Mit Gewalt rettet und heilt man auf dieser Welt nichts.“
Das ist gut eine Stunde vor Abflug des A 320 gewesen. Die Schlange am Schalter 24 lichtet sich langsam. Die meisten Passagiere sind bereits im Sicherheitsbereich. Anika Neumann aus Eßleben in Thüringen aber noch nicht. Sie wartet noch auf die Abfertigung und bringt in einer knappen Aussage das auf den Punkt, was das Gros der Urlauber denkt: „Etwas passieren kann immer und überall, fliegen wir einfach.“
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